Corona am „Ring“: Der Blues der Grünen Hölle…

 

Der bleiche, verwaschene, schon stark eingerissene Zettel mit dem amtlichen Siegel obenauf flatterte in seiner nur unzulänglich schützenden Plastikfolie heftig im kräftigen Eifelwind an dem Gitter des Parkplatzes zum „Brünnchen“ hin und her.  Der in fetten Versalien gehaltene  drohende amtliche Terminus von der „Allgemeinverfügung“ lief im wässrigen, rosafarbenen Schriftbild traurig auseinander. Doch die noch deutlich erkennbaren Begriffe wie „Eindämmung“ und „Corona-Pandemie“ wiesen unmissverständlich daraufhin, dass sich in nächster Zeit hier oben keine Räder drehen, dass keine Motoren aufheulen und dass auch „Corona-Partys“ mehr stattfinden würden.

Starke Betonpoller versperrten den Weg zu der großen Freifläche, auf der sich in all den Jahren zuvor spätestens mit Saisonbeginn Ende März an der Nordschleife des Nürburgrings Wohnmobil an Wohnmobil gereiht hatte. Die weltberühmte „Grüne Hölle“, so hatte die britische Renn-Ikone  Sir Jackie Stewart das graue Asphaltband im satten Grün der Eifelwälder einmal getauft. Dort ließen sich die Petrolheads dicht an dicht gedrängt nieder. Um  wenige Meter nur getrennt von der permanenten, überbordenden Geräuschkulisse  der  PS-starken GT3-Boliden und  von „aufgebretzelten“ Serientourenwagen. Heute, an diesem kalten, sonnigen Samstagmorgen, hätte hier eigentlich das erste Rennen der neuen Nürburgring Langstreckenserie (NLS) stattfinden sollen.  Mit rund 170 teilnehmenden Fahrzeugen und geschätzten 20.000 Fans entlang der 22,8 Kilometer langen „Grünen Hölle“.

Stattdessen: Grabesstille. Kilometer 16, die kleine Senke am Brünnchen, von Eschbach ausgangs Wippermann  kommend,  lag vor der langgezogenen Rechtskurve  hinauf in Richtung Pflanzgarten im gleißenden Sonnenlicht.   Das eine oder andere zaghafte Vogelgezwitscher durchbrach die lärmende Stille.  Nur wenige Tage zuvor noch hatte die Bürgermeisterin der angrenzenden Gemeinde Herschbroich, Monika Korden, den großen freien Platz bis spätestens 10. April  lassen, nachdem völlig uneinsichtige Deppen  sich dort zu sogenannten „Corona-Partys“ getroffen hatten.  Ihr Mann Achim prangerte dieses Verhalten auf seinem privaten  Facebook-Account mit den Worten an: „Habt ihr immer noch nicht kapiert, dass ihr nicht nur für euch selbst Verantwortung tragt? Wir leben doch nicht jeder für sich auf einer einsamen Insel.“

Keine Touristenfahrten, die ersten Rennen der neuen Langstrecken-Serie abgesagt. Der Saison-Höhepunkt, das 24h-Rennen mit alljährlich rund 200.000 Fans an der Strecke, vom Mai in den September verlegt. Am „Ring“ ist derzeit nichts, wie es sonst um diese Zeit ist.  Das breite Band zwischen den Curbs,  die Auslaufzonen  der im Vorjahr für vier Millionen Euro mit neuen Sicherheitsmaßnahmen ausgebauten  Strecke,  gehört jetzt anderen. Weiter  oben, bei Kilometer 17,5, kurz bevor es hinunter Richtung Schwalbenschwanz geht,  grüßen uns johlend und winkend zwei Hobby-Radler auf ihren Mountainbikes.  Rad am Ring, unfreiwillig und zu ungewohnter Jahreszeit.

In Nürburg,  direkt unterhalb der Burg gelegen, hat die bei Fahrern und Renn-Enthusiasten  gleichermaßen beliebte und sagenumwobene „Pistenklause“ längst die Rollladen herunter gezogen.  Dort, wo sich bei Familie Schmitz Ayrton Senna, Niki Lauda und Co. die Türklinke in die Hand gegeben hatten, wo unzählige „Benzingespräche“ geführt worden waren, herrscht jetzt völlige Ruhe. Direkt hinter dem an die Pistenklause angrenzenden Hotel Tiergarten befindet sich der Parkplatz zum Friedhof der Gemeine Nürburg, Irgendwie bezeichnend in diesen Tagen.

Den vielen kleinen Pensionen und Zimmervermietungen in Drees, Reimerath, Welcherath, Müllenbach und wie sie alle heißen, geht es nicht besser. Die Menschen hier leben mit und vom „Ring.“ Die Rennstrecke mit dem angrenzenden Gewerbepark, ihren  vielen regelmäßigen Veranstaltungen, aber auch den „Monster-Events“ wie Truck-Grandprix, Oldtimer-Grandprix oder „Rock am Ring“ ist Grundlage für Existenzen in der ansonsten von der Konjunktur nicht eben innigst geküssten Vulkaneifel.  „Wir haben seit Jahren Stammgäste. Das sind feste Besucherzahlen und Einnahmen. Wir hoffen, dass es im Herbst aufwärts geht“, sagt man uns in der Pension Sonnenwende in Reimerath. Alle hoffen, dass von der Saison 2020 noch gerettet werden kann, was zu retten ist. Später vielleicht. Ja, aber ab wann?

Die, die es genauso hart trifft, sind die Teams und die Fahrer. Professionelle Unternehmen wie Black Falcon, Manthey oder Audi Sport Phoenix, die ihre Dependancen im Gewerbepark  direkt an der Bundesstraße neben der Döttinger Höhe haben.  Genauso  aber auch die  Amateure, die viel Geld in ihren geliebten  Motorsport stecken. Und die sich seit Jahren um Sponsoren und jeden einzelnen Euro bemühen, um am Ring noch in der Langstreckenserie mit ihren neun Rennen über vier oder sechs Stunden von März bis Oktober starten zu können.

So wie Rudi Adams aus Nohn, einem kleinen Eifeldörfchen, einen Steinwurf entfernt nur gelegen unten von Breitscheid, am tiefsten Punkt der Strecke.  Rudi, Reifenexperte, angestellt bei einem großen Konzern, der weltumspannende Serien alimentiert, ist mit Ende 50 einer der Protagonisten jener Leute, die – im positiven Sinne – vom „Virus Nordschleife“ angesteckt wurden.  Seine Kollegen in China, sagt er,  „fangen nach drei Monaten jetzt wieder an, step by step in die Normalität zurück zu kommen.“ Auch er glaubt, „dass es noch etwas dauern wird, bis wir wieder Rennen auf der Nordschleife fahren.“ Aber aufhören, nein das will er nicht: „Ich bin noch schnell. Warum sollte ich?“ So hält er sich mit Radfahren fit zwischen den Video-Meetings, ist mit den Fahrerkollegen im Austausch. Und er räume Sachen auf, „von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie überhaupt noch habe.“

Ein jeder versucht dort oben an der, so die einhellige Meinung Derer, die der Mystik dieses Kurses verfallen sind, „schönsten und schwierigste Rennstrecke der Welt“, irgendwie über die Runden zu kommen. Gewiss ist derzeit nur die Ungewissheit am Nürburgring. Und greifbar ist nur der allgegenwärtige Blues in der Grünen Hölle…