Während des Winters (auch wenn er den Namen heuer eigentlich nicht verdient) ist vor dem Winter. Vor dem nächsten kalendarischen Temperatursturz, der in der Regel auch mit einer Fahrbahn aufwartet, die von Eis, Schnee, Nässe und allerlei ähnlichen widrigen Begleit-Umständen für uns Autofahrer verbunden ist. So voraus schauend und damit auch keineswegs antizyklisch denkt zumindest die Reifen-Industrie. Continental, der Marktführer in Sachen Winterreifen, hat deshalb für den Herbst dieses Jahres nicht nur einen neuen Pneu angekündigt, der sukzessive in mehr als 80 Größen erhältlich sein soll, sondern gleich auch seine Namensstrategie geändert.
Continental WinterContact TS 850 P nennt sich der neue „Premium-Winterreifen für die gehobene Mittelklasse und SUV“, wie der Hersteller selbst sein Zielgebiet für das neu entwickelte „schwarze Gold“ festlegt. Was der neue „Schlappen“ alles besser kann, oder können soll, als der / die Vorgänger, darauf werden wir noch eingehen: Doch was hat es mit der neuen Namensgebung auf sich? Nun, Continental, möchte natürlich weltweit so viele Reifen wie möglich verkaufen. Damit der Name des Reifens jetzt auch überall auf das Produkt passt, wurde dieses namentlich weltweit vereinheitlicht und angepasst. Das heißt, dass die Kennzeichnung „Conti“ vor dem eigentlichen Produktnamen in Zukunft entfallen wird. Aus dem Bezeichnungs-Monstrum ist also ein griffiger Begriff geworden.
Die Spezies der Reifenentwickler, so hat man zumindest bei diversen Workshops, Produkt-Präsentationen oder in Gesprächen mit Leuten aus Forschung und Entwicklung den Eindruck, sind so eine Art face-gelifteter Miraculix des 21. Jahrhunderts. Die „Hexenküche“ aus Chemie, Biologie, Physik im Zusammenspiel mit Mutter Natur ist scheinbar unergründlich und unerschöpflich, wenn es um die Fertigstellung neuer Rezepturen geht.
Was auch nicht einfach ist, denn der Anforderungskatalog ist hoch: Der Reifen soll Traktion und Grip vermitteln, gute Nässe-Eigenschaften haben, unkompliziert im Handling sein, mit immer kürzeren Bremswegen aufwarten, hohe Seitenführungskräfte aufbauen und was sonst noch alles. Und bei einem Winterreifen ist das natürlich noch alles viel komplexer und komplizierter als bei den Pneus, die vorwiegend dann gefahren werden, wenn es ins Freibad oder ins Eiscafé geht.
Entscheidend, so haben wir in den vergangenen Tagen wieder einmal in den Alpen erlernen dürfen, ist das Zusammenspiel der Kräfte: Die Mischung aus unendlich vielen Komponenten macht‘s genau so wie der Aufbau der Karkasse, der Schnitt der Lamellen in Reifenmitte und Flanke, der Profilblöcke, der Griffkanten, und, und, und. Bis so ein Reifen dann seine Freigabe für die Erstausrüstung eines neuen Fahrzeugs vom Auto-Hersteller erhält, oder bevor der Reifenproduzent den Fachhandel damit versorgt, gehen Jahre ins Land. Da wird am Polarkreis gefahren, getestet, gemessen, ausgewertet und (natürlich auch) mit Konkurrenz-Produkten verglichen. Zwar gibt es einen europäischen Dachverband der Reifen-hersteller aber leider immer noch keine bindende Definition eines Winterreifens. Und auch das umstrittene Reifenlabel ist letztendlich keine wahre Orientierungshilfe.
Was heißt das alles für das neue Conti-Produkt mit Namen Continental WinterContact TS 850 P und Continental WinterContact TS 850 P SUV? Der neue asymmetrische Winterreifen, so kommuniziert Conti, sei vor allem beim Handling im Schnee und auf trockener Straße sowie beim Bremsen besser als die Vorgänger. Und die Van-Versionen seien besonders robust auf Schotterstrecken. Das Lieferprogramm, zum Produktionsstart in diesem Sommer sei so ausgelegt, dass „von Anfang an eine gute Auswahl für stärker motorisierte und sportlich ausgelegte Wagen“ bereit stünde. Conti bietet den neuen Reifen für Felgen zwischen 16 und 20 Zoll Durchmesser sowie Breiten von 205 bis 275 Millimeter an. Die Geschwindigkeitsfreigaben gehen bis zu wirklich flotten 270 km/h.
Und letztendlich auch noch die Nachricht, auf die der Verbraucher besonderen Wert legt: Weniger auf den neuen, kürzeren Namen. Denn auf die Frage, was er denn aufgezogen habe, antwortet König Kunde kurz und bündig mit „Conti“ oder eben dem Namen eines anderen Herstellers. Was aber ganz wichtig ist: Das Produkt werde „auf demselben Preisniveau angeboten wie die Vorgängermodelle“, heißt es. Will sagen: Neuer Schlappen mit besseren Eigenschaften fürs gleiche Geld. Der Winter kann also kommen. Zumindest in gut einem dreiviertel Jahr, wenn er dieses Jahr schon nicht (mehr) mag!
Text: Jürgen C. Braun / Fotos: Conti