Der EX90: So tickt Volvos neuer Super-Stromer

In den vielen, größtenteils sehenswerten und glänzend recherchierten Histo-Dokus der Öffentlich-rechtlichen Kanäle über das Leben der Wikinger werden diese in aller Regel nicht nur als gnadenlose Eroberer, sondern auch als kühne Entdecker, die sich neue Länder nicht nur durch brandschatzen, sondern auch durch geschicktes Handeln  erschlossen, gezeigt. Wenn sich deren Nachfahren Jahrhunderte später eines bewahrt haben, dann sind es der Stolz auf das Bewahren der eigenen Identität.

Warum wir zu diesem Ergebnis kommen? Weil wir den neuen Volvo EX90 kürzlich aufs Genaueste Okular-inspiziert und – zumindest für eine kurze Zeitspanne – in einer der angebotenen Antriebsvarianten gefahren haben. Da ist zunächst die Optik: 5,04 Meter lang, 1,96 Meter breit, 1,74 Meter hoch, ein Radstand von 2,99 Meter. Zu Zeiten Hägars des Schrecklichen wäre das – umgerechnet auf damalige Größenverhältnisse – eine Fregatte in den sieben Weltmeeren gewesen, die dem Feind Angst und Schrecken eingejagt hätte.

Das aber ist heute nicht mehr das erklärte Ziel der Autobauer aus dem Land der Elche. Im Gegenteil: Das Thema Sicherheit für die bis zu sieben Insassen, aber auch für Menschen und Tiere im direkten Umkreis des mächtigen Elektro-Riesen, steht über allem. Gefolgt in kaum noch messbarer Distanz zu Nachhaltigkeit, Komfort und Praktikabilität.

Viele clevere Tricks wie verschiebbare Sitze in der zweiten Reihe, elektrische Sitze in der letzten Reihe, die man auf Knopfdruck hoch oder umklappen oder bei Nichtgebrauch auch ganz versenken kann, sind eilfertige Helferlein, um das Platzangebot für Mensch und Material nach Gusto zu gestalten. Als Siebensitzer weist der EX90 ein Ladevolumen von 324 Litern auf. Klappt man die Sitze in der dritten Reihe um, erhält man deren 697 und als „nordsicher Edeltransporter“ kommt man auf sagenhafte 1955 Liter.

Innen dominiert in skandinavischer Coolness und Nachhaltigkeit das bekannte Hochkant Touchscreen-Tablet. 14,5 Zoll groß, das Hirn für diesen Volvo der Superlative. Ohne diese Schaltzentrale mit Menüs und Untermenüs läuft nichts. Nicht einmal das Verstellen der Außenspiegel oder die Sprachsteuerung, um das nervige Aufpasser-Gepiepse der vielen Assis an Bord mal ruhig zu stellen.

Doch sind die Abmessungen, die Variabilität, der kühle, methodisch-praktische Auftritt im Premium Catwalk-Design nicht das Herausstechende des High-Tech-Riesen. Das elektrische Gegenstück des XC90 verfügt über eine Art „drittes Auge“ mit Namen Lidar. Das Kürzel für „Light detection and ranging“, eine Laser-Technologie, wurde schon vor Jahrzehnten in Robotik und Raumfahrt eingesetzt, ist via Kartierung und Geländemodellierung Aufpasser und Bodyguard. Sogar die Mondmission Apollo 15 vertraute schon auf diesen Scout.

Dass der EX90, der ein halbes Jahr vor dem Einsteiger EX30 vorgestellt wurde, erst so viel später auf die Straßen rollt, ist auch den Zeit raubenden Software-Entwicklungen und daraus folgenden Tests geschuldet. Nie hat Volvo dermaßen viel digitales Hightech in Sicherheit, Infotainment und das Batteriemanagement gesteckt. Der komfortable und „idiotensichere“ Siebensitzer soll das Premium-Modell der angestrebten 90 Prozent vollelektrischer oder Plug-In-Hybride bis 2030 sein. Für die restlichen zehn Prozent sollen sogenannte Mildhybride sorgen, bei denen die E-Maschine den Verbrenner lediglich unterstützt.

Volvo bietet für sein Premium-BEV drei Motorisierungen an. Das frontgetriebene Einstiegsmodell hat 279 PS. Die beiden Allrad-Varianten mit zwei Maschinen und wahlweise 408 oder 517 PS sind wie alle Volvo-Modelle auf 180 km/h begrenzt. Mit dem größeren Akku (107 kw) verspricht Volvo eine Reichweite von 614 Kilometern laut WLTP. Obwohl das Top-Modell runde 2,8 Tonnen auf die Waage bringt.

Die Ladeleistung der lediglich 400statt 800 Volt-Architektur ist mit 250 kW okay. AC-Laden geht allerdings nur mit 11kW. An der Wallbox braucht man also satte zehn Stunden, um den Akku zu füllen. Zusätzlich zum Lidar-Knubbel auf dem Dach für die Assistenzsysteme gibt es im Innenraum jede Menge Kameras, die Müdigkeit oder Ablenkung bemerken und monieren. Ja, sogar Sensoren, die sich mahnend einschalten, wenn man Kinder oder Haustiere im Auto vergessen hat.

Volvo EX90

All das schlägt sich natürlich auch in der Preisgestaltung nieder.  Zwischen 83.700 Euro für die Basisversion und 96.800 Euro für die Top-Ausgabe lässt sich mit einigen Extras die 100.000er Grenze problemlos passieren. Serienmäßig ist natürlich in punkto Sicherheit und Fahrvergnüge alles drin, was man für diesen Preise erwarten darf. Wer sich aber Gimmicks wie etwa das Bowers  & Wilkins Soundsystem gönnen möchte, und den EX90 dank 25 Lautsprechern in einen rollende Elb-Philharmonie zu verwandeln, der muss alleine dafür 3050 Euro auf den Tisch das Hauses blättern.

Text: Charlys Autos: / Fotos: Christian Bittmann