Geht Maserati auf der Überholspur dank der Öffnung zu neuen Technologien und in bisher unbekannte Fahrzeug-Segmente. Oder bleibt die italienische Nobelmarke doch im Stau der „splendid isolation“, der eigenen selbst gewollten Exklusivität stecken? Eine durchaus spannende und zudem aktuelle Frage: Denn die Marke mit dem legendären Dreizack, dem „Tridente di Bologna“ hat sich eine schiere Herkules-Aufgabe vorgenommen, vergleicht man selbst gewählten Anspruch und Status Quo. Bis herauf zu einem Absatz von 50.000 Einheiten per anno weltweit im Jahr 2015 wollen die Bologneser ihre im knapp vierstelligen Bereich vor sich hin dümpelnden Verkaufszahlen quasi explodieren lassen.
Ein erster Schritt war der neue Quattroporte, der zum Jahreswechsel das Aufbruchsignal für die italienische Luxusmarke gab. Mit neunen Modellen in der Oberklasse und im SUV-Bereich soll jetzt auch erfolgreich ein Terrain „beackert“ werden, in dem bisher vor allem die deutschen Premium-Anbieter Audi, BMW, Mercedes-Benz oder auch die britische Nobelmarke Jaguar dominierten. Den Anfang macht der neue Ghibli, ein Name, der in der Familien- und Firmengeschichte durchaus seinen festen Platz hat. Der Ghibli war in den 1960er und 1970er Jahren ein exklusives Sportcoupé, beatmet von einem bulligen V8-Motor. Die Serienproduktion für die automobile Renaissance dieses sportiven Traumwagens beginnt zwar erst im Juni dieses Jahres. Wir hatten jedoch die Gelegenheit, den Neuen einer ersten „Okular-Inspektion“ zu unterziehen und ein Vorserien-Fahrzeug zumindest im Stand zu begutachten.
Hat der neue Ghibli das Zeug dazu, um der Marke „frisches Blut“ in die Adern zu pumpen und seinen Auftrag als Verkaufs-Katalysator zu erfüllen? Gegenüber dem Urahnen hat der Nachfolger zwei Türen mehr, dafür aber zwei Zylinder weniger. Das neue V6-Volumenmodell soll zwar nicht nach der offiziellen Firmendiktion der „Maserati für die Masse“ werden. Aber die Versionen mit einem 300 PS starken Sechszylinder mit Hinterradantrieb oder dem 410 PS starken „Ghibli S“ treffen auf Konkurrenten, die auch in den eingangs beschriebenen deutschen Häusern keine Seltenheit sind. Zudem verfügt der „Ghibli S“ auf Wunsch als Q4 über Allradantrieb. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Er ist nicht wie die deutschen Top-Modelle bei 250 km/h abgeriegelt, sondern bis zu 300 km/h (genau 285 km/h) schnell ist. Übertragen wird die Kraft über die bekannte Achtstufen-Automatik aus dem Hause ZF.
Die eigentliche Motorensensation ist jedoch der erste Diesel in der Maserati-Geschichte. 275 PS leistet das 3,0-Liter-V6-Turbo-Kraftwerk. Den eigentlichen „Bums“ verspricht allerdings nicht die Anzahl der „Pferde“, sondern das phänomenale Drehmoment von 600 Newtonmetern. Die Commonrail-Direkteinspritzung arbeitet mit Drücken von bis zu 200 bar und sequenziellen Mehrfacheinspritzungen. „State of the art“ also, was die Selbstzünder-Technologie betrifft. Maserati verspricht seinen Kunden, (jedenfalls, denen, die das interessiert), einen Verbrauch von sechs Litern auf 100 Kilometer für die Diesel-Variante. Der CO2-Ausstoß liegt bei 159 Gramm. / km. Doch ein Maserati muss wie ein Maserati klingen. Auch dann, wenn er von einem Dieselmotor angetrieben wird. Um dies zu gewährleisten, erledigen zwei Soundgeneratoren im Auspuff die orchestralen Vorgaben.
Ein Maserati ist aber nicht nur akustisch, sondern auch optisch als solcher zu erkennen. Das soll auch beim neuen Ghibli so bleiben. Ins Auge sticht in erster Linie das weit aufgerissene Haifischmaul, begleitet von einer extrem flachen Front und einer eleganten, lang gestreckten Seitenlinie. Mit seiner Länger von fast fünf Metern kann man die Wahlverwandtschaften zum Coupé früherer Jahre nur schwer nachvollziehen. Da kommt dann doch mehr eine optische Anlehnung an den größeren Bruder, den Quattroporte, in Betracht. „Räubern“ will man mit diesem – zugegeben immer noch sehr exklusiv anmutenden – Fahrzeug vor allem bei den Topmodellen bei Audi A6, BMW 5er oder Mercedes E-Klasse. Denn auch dort gibt es viele, emotional ausgerichtete Exponate mit sechs oder acht Zylindern.
Der kompaktere Ghibli ist mit diesen Außenmaßen und motorischen Leistungen deutlich unterhalb des Quattroporte (5,25 Meter lang, bis zu 530 PS) angesetzt. Beide Modelle verzahnen quasi Luxus- und Oberklasse miteinander. Maserati traut sich damit erstmals in eine Klasse, die die die Fiat-Tochter bisher gemieden hat. Zudem soll ab Ende 2014 mit dem „Levante“ dann noch ein SUV-Maserati namens „Levante“ das Seine dazu tun, um die italienische Edel-Marke zum Massenhersteller werden zu lassen. Was voraussetzt, dass man mehr als nur den einen oder anderen Kunden zum Umdenken bewegt, und sich mit dem Gedanken an Neues, Extravagantes, aber auch technisch Bewährtes anfreundet.
.Denn, kein Zweifel, der Maserati Ghibli versprüht auch im Interieur den Hauch des gewissen Extra: Eine ausgesuchte, edel verarbeitete Leder-Instrumententafel, dazu ein großer Navi-Touchscreen im iPad-Stil: das steht der Konkurrenz deutscher Premium-Produkte nicht nach. Das Platzangebot ist exorbitant. Im Vergleich zum Quattroporte geht durch die flache Dachlinie im Fond aber etwas an luftiger Raumhöhe verloren. Was für den Hersteller allerdings ein Problem ist, denn der Ghibli nicht als feine, edle Chauffeurs-Kutsche, sondern als Selbstfahrer-Auto für Ihn oder Sie mit gehobenen Ansprüchen.
Um die angepeilten Verkaufszahlen zu erreichen, will die Fiat-Tochter ihr deutsches Händlernetz weiter ausbauen. Derzeit spricht man von 21 Stützpunkten oder Stationen auf deutschem Boden, angestrebt sind deren 38 bis zum übernächsten Jahr. Allerdings will und muss man auch auf Märkten wie Nordamerika, China oder dem Nahen Osten wachsen, um die angepeilten Ziele zu erreichen. Dennoch, so Dirk Kemmer, Maserati-Chef von Deutschland, Österreich und der Schweiz, soll bei allen Expansions-Bestrebungen eine Kern-Aussage der Marke unangetastet nicht in Frage gestellt werden: „Ein Maserati bleibt ein Luxus-Produkt, und das soll auch so bleiben.“
Text und Fotos: Jürgen C. Braun