Giftzwerg mit hoßem Spaßfaktor: Der neue Ford Fiesta ST

Kleine “Giftzwerge“ auf der Straße sind nichts Ungewöhnliches: VW Polo GTI, Opel Corsa OPC, oder Seat Ibiza Cupra etwa. Um nur drei Probanden aus der Reihe tief, schnell, stark zu nennen. Vor allem bei der jugendlichen „Böhse-Onkelz-Fraktion“ sind derlei rasende Hasen kästen sehr beliebt. Und wo einer angefangen hat mit der Aufrüstungs-Maschinerie bei den Kleinsten, da will die Konkurrenz nicht nachstehen. Wir haben den neuen Ford Fiesta ST gefahren. Eine „Rennsemmel“, die mehr als nur 182 stolze PS  auf der Kurbelwelle und brachiales geradeaus brettern zu bieten hat.

Ford Fiesta ST 02Der erste Anblick verheißt schon mal ein gewisses Kribbeln in den Fingern und leichte Zuckungen im rechten (Gas)Fuß. In der Tat: der kleine hat das Maul ziemlich aufgerissen. Dank eines mächtigen, weit aufgerissenen  Kühlergrills, der beim ersten Augenkontakt  sagen soll: Glaub“ ja nicht, dass ich das nicht halten kann, was ich verspreche. Denn der Mini-Mach plustert sich mit dicken Backen, breiten Schürzen und einem optisch nicht eben minderbemittelten Heckspoiler weiter auf.  Heißa Kathreinerle, da kommt aber Vorfreude auf ein zünftiges Fahrerlebnis auf. Von bodenständig-biederem Kompaktwagen ist in diesem maßgeschneiderten Kampfanzug  nicht mehr viel übrig geblieben.

Ford Fiesta ST 04Und im Innenraum?  Da laden  bunte Recaro-Sitze, Alu-Pedalerie und ein griffiges Lederlenkrad zur Jungfernfahrt mit diesem Asphalträuber ein. Gut, hinten mag es ein wenig eng sein, aber das ist nun mal Auslegungssache. Von einem solchen Flitzer erwartet niemand, dass man da mit vier Personen zum Wocheneinkauf auf den Hamburger Fischmarkt fährt.  Am Wohlfühl-Ambiente für  juvenile Verkehrsteilnehmer, die mehr als nur von Punkt A nach Punkt B kommen wollen, mangelt es sicher nicht.

Das Wichtigste bei diesem Auto aber ist ohnehin nicht das, was man sieht. Sondern, was man fühlt, was Wirkung erzielt. Und das sind beileibe nicht nur – wie eingangs erwähnt – die 182 „Pferde“, die die Ford-Ingenieure aus dem 1,6 Liter großen, turboaufgeladenen Benziner, herauskitzeln. 240 Newtonmeter an Drehmoment zusätzlich. Den richtigen Kick beim Überholvorgang  gibt es aber erst dank des zusätzlichen Overboost, der für 15 Sekunden den Ladedruck erhöht. Wodurch die Leistung für kurze Zeit auf 200 PS und das Drehmoment auf 290 Nm erhöht werden.

Ford Fiesta ST 05Ford hat die Leistung aber nicht „auf Teufel komm raus“ in einen Kleinwagen implantiert, dessen zusätzliche Sicherheitseinrichtungen, die damit nicht einhergehen. Denn die Ford-Leute  haben nicht nur  das Triebwerk mächtig aufgerüstet, sondern dem  Fiesta zur Kraftübertragung erstmals auch ein Sechsganggetriebe  mit kurzen, knackigen Schaltwegen verabreicht. Adäquat dazu wurde auch das Fahrwerk modifiziert:  Dämpfer und Federn sind kürzer und härter geworden, die Achsträger verstärkt und auch der Sturz wurde dem Fahrverhalten angepasst. Das alles verleiht  dem Fiesta ST eine ungeheure Steifigkeit bei kurzen, kaum wahrnehmbaren Lenkeingriffen und Richtungsänderungen.

Auch die Bremsanlage wurde den erhöhten Anforderungen gepasst:  Ebenfalls eine Premiere sind die hinteren Scheiben statt der Trommeln. Was weniger dem Sicherheitsgedanken Rechnung trägt, aber den Lustfaktor erhöht, sind die Feinjustierungen  an der Akustikanlage:  Ein eigener Sound-Composer sorgt für die passende Sinfonie von Ventilen, Stößeln und Ansaugtrakt.  Mit gerade mal 19.900 Euro bietet Ford da einen „Giftzwerg mit Manieren“ an, den man für diesen Preis im vergleichbaren Segment kaum bekommt.

Ford Fiesta ST 06Eines aber sollte man trotz größter zusätzlicher Sicherheitsmechanismen bedenken: Ein solches Fahrzeug  mit einer Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h und einem Sprint von null auf 100 km/h in 6,9 Sekunden ist nichts für ungeübte Führerschein-Neulinge. Es  ist auch weiß Gott kein Geschenk für Sohnemann oder Töchterlein zur bestanden Prüfung. Wenn man ein solches Lustmobil als „Morgengabe“ unter das fahrende Volk bringen will, dann bitte nur in Verbindung mit einem Gutschein für ein ausgedehntes Fahrsicherheitstraining. Und zwar bitte mit genau diesem Fahrzeug und keinem 60-PS-Fiesta.

Text und Fotos: Jürgen C. Braun