Nr. 2: „Erst linke Ratte, dann Chef und guter Freund“
Ein paar Tage vormeinem Antritt in der TV-Redaktion und dem Beginn meines Volontariats am 01. November 1971 hatten wir mit unserer Handballmannschaft des TV Hermeskeil ein Spiel beim Post-SV Trier zu absolvieren. Ich glaube, Bezirks- oder Landesliga. Ich weiß noch, wir spielten in der fürchterlich kalten und zugigen Posthalle (heute Toni-Chorus-Halle). Ich stand damals beim TVH im Tor. Nicht, das gebe ich heute gerne zu, weil ich so ein exzellenter Keeper war, sondern weil wir für draußen auf dem Feld Bessere als mich hatten. Aber wir waren ein verschworener Haufen und da ging ich eben ins Tor.
Schiedsrichter, das weiß ich heute noch, war das wohl bekannteste Duo der Trierer Handball-Szene damals. Für die Handballer unter Euch: Hans Nahe (Nahes Hans) und Berthold Kirschner (Kirschners Bert). Die Post, wie die Mannschaft des Post-SV Trier genannt wurde, hatte in ihren Reihen einen Linkshänder. Ca. 1,90 – 1,95 Meter groß. Rückraum rechts. Nicht unbedingt der Schnellste, aber glänzendes Auge. Der wusste, wann und wie er seine Nebenleute ein zu setzen hatte. Der Linkshänder sowas wie der Kopf des Gegners, warf zudem auch alle Siebenmeter. Platziert und hart. An keinen kam ich dran. Und er hatte eine Eigenart auch einmal „oben“ an zu visieren und nicht etwa nur die Ecke, sondern eher etwas an der „Birne“ vorbei. Ich war sauer auf den Typen.
Unter der Dusche nach dem Spiel, stand ich neben besagtem Linkshänder. Man hörte schnell: Der sprach anders, der kam nicht von hier. Ich war geladen, weil er mir ein paar „Siebener“ am Kopf vorbei gezogen hatte und titulierte ihn: „Du bist eine ganz linke Ratte.“ Damit war‘s dann aber auch erledigt.
Ein paar Tage später trat ich meinen Dienst in Trier an. Mein Weg führte mich zuerst zum Personalchef, zu Wolfgang Hess. Ein ganz feiner Mensch. Tischtennis-Spieler, aber auch Typ Organisator und Manager. Von ihm wird irgendwann auch noch zu erzählen sein. Herr Hess, aus dem später für mich Wolfgang wurde, sagte zu mir: „Na dann kommen Sie mal mit junger Mann. Sie beginnen ihr Volontariat in der Sportredaktion. Der Herr Peter, der Chef, ist schon da. Der wird Sie dann einweisen. „Wir gingen auf dem langen dunklen Flur des zweiten Stocks im Verlagshaus am Nikolaus-Koch-Platz bis zu einer Tür, an der Wolfgang Hess anklopfte, hineinging und zu dem Mann, der am Schreibtisch saß, sagte: „Das ist der Herr Braun, der fängt heute bei Ihnen an. Sie wissen ja Bescheid.“ Drehte sich um und ging wieder.
Ich schaute vorsichtig in das Büro hinein, blickte Richtung Schreibtisch, auf dem sich die Volksfreunde der vergangenen Tage, eher wohl Wochen türmten. Und dann stockte mir plötzlich der Atem: Ich stand einfach nur da und wusste vor lauter Verlegenheit und fürchterlichem Schrecken gar nicht, wo ich hingucken und was ich machen sollte: Vor mir saß als mein erster Chef in der Sportredaktion besagter Linkshänder vom Post-SV Trier. Der, den ich ein paar Tage zuvor nach dem Spiel unter der Dusche als „linke Ratte“ betitelt hatte.
Ich muss wohl irgendwas Unverständliches gestammelt haben, aber Wieland Peter, der Sportchef, grinste nur und kam auf seine joviale, aber auch bestimmende Art direkt mit einer Retourkutsche heraus: „Na dann komm mal rein zu der linken Ratte. Als Torwart gibt es bessere als Dich. Aber vielleicht kann ich ja einen halbwegs brauchbaren Journalisten aus Dir machen.“
Was er dann im Lauf viele Jahre auch tat. Aus dem Chef und dem Jung-Redakteur wurden bald gut miteinander auskommende Kollegen. Und noch viel später richtige Freunde. Wieland Peter blieb bis 1979 beim Trierischen Volksfreund, ging dann als Sportchef zu den Nürnberger Nachrichten. Er ist heute 86 und unsere Freundschaft besteht immer noch. In Telefonaten, aber manchmal auch in Besuchen meinerseits in Mittelfranken. Auf vielen langen Spaziergängen , aber auch bei manchem Weißbier und einem „Schäufele“ unter den Kastanien im „Gärtla“, diskutierten wir in mehr als vier Jahrzehnten nicht nur über den Sport im Allgemeinen, darüber was aus dem TV geworden war. Sondern auch über Gott und die Welt. Und er gab mir manchen guten Rat mit auf den Weg. Außerhalb des gemeinsamen beruflichen Interesse.
Und von keinem, dafür gebe ich mein Wort, habe ich mehr gelernt als von Wieland. Nicht nur weil er mein erster Chef, sondern auch weil er mein bester Lehrer und mein größter Kritiker war.