Eigentlich stand für mich seit den Zeiten als Pennäler im neusprachlichen Gymnasium in Hermeskeil fest, dass ich später einmal Journalist werden wollte. Nicht nur, weil mir das Schreiben leichter und lockerer von der Hand ging als die – meiner damaligen Meinung nach – dröge Rechnerei, als die naturwissenschaftlichen Fächer im Allgemeinen, sondern einfach, weil es mir Spaß machte. Aufsätze mit der Vorgabe „Was ich später einmal werden will“, entführten mich meist in Traumwelten, die mir nicht als lästige Schulpflicht erschienen, sondern in denen ich mich selbst wiederfand. In die ich all das hinein projizieren konnte, was mir im Kopf so vorschwebte.
Dass das alles noch sehr weit von der Realität entfernt war, das war mehr meiner jugendlichen, ja sogar noch kindlichen Unwissenheit von den realen Begebenheit journalistischer Vorgehensweisen geschuldet, als einer zwanghaften Herangehensweise an die gestellte Aufgabe des Deutsch-Unterrichtes. Komischerweise bereitete mir nicht nur von Beginn an die eigentliche Schreiberei, sondern auch die damit verbundene Grammatik, die Orthographie, die Interpunktion, Vergnügen. Warum auch immer.
Und meist ging es um das Thema Sport, weil ich immer mit Begierde darauf wartete, die Montagsausgaben mit den Sportseiten aufschlagen zu können. Neben dem Trierischen Volksfreund gab es in unserer Region damals noch die Trierische Landeszeitung, die bis Ende März 1974 in der Paulinus-Druckerei gedruckte wurde. Also keine Monopol-Stellung für eine der beiden Tageszeitungen. Was – wie ich erst später feststellen sollte – der Aktualität, aber auch der Vielfalt sehr zugute kam. Und das auch heute noch täte!
Nun, da das Pennäler-Dasein sich dem Ende zuneigte, fand ich so viel Gefallen an unserer Oberprima des Gymnasiums (heute nennt man das wohl dreizehnte Klasse), dass ich nach dem ersten Jahr als Oberprimaner beschloss, noch ein weiteres Jahr dran zu hängen. Was letztendlich auch ganz im Sinne des Lehrkörpers war, der mir das zuvor schriftlich vorgeschlagen hatte. Selbiges hinderte mich aber nicht daran, das zweite Jahr dann doch etwas gewissenhafter zu absolvieren, so dass nach getaner Discipulus-Pflicht das Vaterland rief, das mich gerne für die nächsten eineinhalb Jahre unter seine Fittiche nehmen wollte.
Indes: Selbiges, nämlich das Vaterland und meine Wenigkeit, wir fanden keinen Gefallen aneinander. Von wegen „ubi bene, ibi patria“ – „Wo es mir gut geht, da ist mein Vaterland.“ Der Stahlhelm war keine Kopfbedeckung, die ich wirklich als für mich geeignet empfinden wollte. Und die über mir befindlichen Instanzen kamen letztendlich zu der Erkenntnis, dass ich erstens nicht dazu geeignet erschien, allem, was sich hinter dem Eisernen Vorhang herumtrieb, einen heillosen Schrecken ein zu jagen. Zudem bescherte mir das Ergebnis meiner Einstellungsuntersuchung einen neunmonatigen Aufenthalt in einer Fachklinik im Südbadischen. All das bewirkte letztlich, dass das Vaterland und ich uns vorzeitig trennten. Ich glaube, das Vaterland war darüber mindestens genauso erfreut wie ich.
Nun also konnte ich endlich daran gehen, meine beruflichen Vorstellungen und Begehrlichkeiten, die sich während meiner Schulzeit in mir aufgestaut hatten, in die Tat um zu setzen. Ich bewarb mich also auf eine Volontärs-Stelle beim Trierischen Volksfreund. Die war weder ausgeschrieben, noch hatte ich irgendetwas für diesen Beruf Brauchbares vor zu weisen, außer ein paar Schulaufsätzen. Also machte ich in einem langen Brief dem damaligen Chefredakteur Allrich Eden klar, dass er, und vor allem das Blatt, dessen Redaktion er leitete, eigentlich schon lange auf mich gewartet hatten und dass ich willens war, den Trierischen Volksfreund alsbald von meiner bis dato Abwesenheit zu befreien. Vielleicht habe ich es etwas weniger aufdringlich formuliert, jedenfalls erhielt ich ein paar Tage später ein Schreiben vom Nikolaus-Koch-Platz, dass man meine Unterlagen mit Interesse gelesen hätte. Was mich im Übrigen auch kein bisschen verwunderte. Und dass sich Herr Eden gerne über den weiteren Fortgang meiner Vorstellungen mit mir unterhalten wollte. Na, dachte ich, das fängt ja gut an.
Ein paar Tage später saß ich, im besten Zwirn, also Hemd und Hose, zwar keine Krawatte, aber blankgeputzte Schuhe, saubere Fingernägel, korrekt gescheitelt, im Büro von Allrich Eden. Nachdem mich die freundliche Frau Helga Kaufmann aus dem Redaktionssekretariat zuvor empfangen hatte. Edens Arbeitszimmer befand sich links am Ende des langen Ganges im zweiten Stock, direkt über den Kastanien des Nikolaus-Koch-Platzes. Irgendwie roch es ein wenig muffig da oben in dem langen Flur. Na gut, aber deswegen konnte ich ja nun nicht wieder gehen. Allrich Eden, kurzhaarig, graumeliert, eher klein von Gestalt, bat mich herein, bot mir einen Stuhl gegenüber seines Schreibtisches an. Auf diesem lagen meine Pamphlete, die ich als Bewerbungsunterlagen eingereicht hatte. Natürlich hatte ich morgens den TV fast auswendig gelernt, um das nun meiner Meinung nach folgende Kreuzverhör unbeschadet zu überstehen.
Eden begann also, dass er meine Sachen mit Interesse gelesen hätte, was ich ja aber eigentlich schon, wusste, weil das ja in seinem Schreiben stand. Warum ich denn Journalist werden wollte, wollte er von mir wissen. Und da ich mich in den Jahren zuvor kaum mit etwas anderem beschäftigt hatte, fiel es mir auch nicht schwer, eine einigermaßen glaubhafte und akzeptable Antwort darauf zu finden. Mittlerweile waren „schon“ mindestens fünf Minuten vergangen. Eden druckste ein wenig herum und dann, – hörte ich richtig? – fragte er mich: „Wann könnten Sie denn anfangen?“ „Vorsicht Falle“ schoss es mir durch den Kopf. Der will dich aufs Glatteis führen, jetzt bloß nix falsches sagen. Und dann Frage zwei unmittelbar hinterher: „Am 1. November?“ Woraufhin es als Erwiderung aus mir herausschoss: „Das wäre in zwei Wochen?“ „Ja, passt Ihnen das nicht?“
Liebe nach mir folgende Generationen, die Ihr Euch derzeit um ein Volontariat bemüht, glaubt mir: Ich veräppele Euch nicht. Genauso war es. Genauso verlief mein Einstellungsgespräch beim Trierischen Volksfreund im Oktober 1971. Beim Rausgehen fiel mir nix Blöderes ein, als die Frage: „Brauchen Sie die noch?“ Worauf Eden den Kopf schüttelte und ich meine Schulaufsätze, darunter 70 Seiten Referat über Franz Kafka, in den man alles hinein interpretieren konnte, wieder mitnahm.
Aus den ersten zehn Minuten sind mittlerweile, mit Unterbrechungen, über 50 Jahre geworden. Was mich immer noch umtreibt, ist die Frage: „Hat Allrich Eden meine Sachen im Oktober 1971 eigentlich wirklich gelesen? Also 70 Seiten? Beantworten kann er sie mir leider nicht mehr.
Katja, was meinst Du? Du kennst den Papa besser als ich: Hat er oder hat er nicht?