„Bubis Bahnhof“ oder: „Beckenbauer, wie schreibt man das?“
Das Finale um den DFB-Pokal 2024 / 2025 ist zwar schon ein paar Tage alt. Dennoch veranlasst diese Begegnung mich, eine Folge meiner Serie „150 Jahre Trierischer Volksfreund – 50 Jahre Charly Braun“ den technischen Gegebenheiten der Nachrichtenübermittlung in den 1980er Jahren zu widmen. Und mich gleichzeitig einer unvergesslichen und unvergessenen Episode meines langen journalistischen Schaffens zu erinnern.
Wir schreiben den 31. Mai 1984. In Frankfurt, die Arena nannte sich damals noch schlicht und ergreifend Waldstadion und trug nicht die Bezeichnung einer Bank für Privat- und Unternehmens-Kunden, fand das Endspiel um den Pokal des Deutschen Fußballbunds zwischen dem FC Bayern München und Borussia Mönchengladbach statt. Zum letzten Mal übrigens, bevor ab dem darauf folgenden Jahr das Finale dieses Wettbewerbs dauerhaft nach Berlin vergeben wurde. Ich hatte schon einige Wochen zuvor einen Dienstreiseantrag nach Frankfurt für diesen Termin gestellt, was bei der Chefredaktion für allgemeine Verwunderung sorgte. Denn ich war der Erste, der ein solches Ansinnen aus der dünn besetzten Sportredaktion stellte. Was dann auch die Frage zur Folge hatte: „Warum wollen Sie denn dahin? Wir bezahlen doch die teure dpa. Wir können ja einen Agenturbericht nehmen. Das Spiel können Sie doch auch im Fernsehen gucken.“ Journalistisches Selbstverständnis sah meiner Meinung nach anders aus.
Allem Unverständnis zum Trotz wurde mir die Dienstreise mit einem der martialischen Opel Kadett des Hauses genehmigt und ich machte mich daran, mich über die Pressestelle des DFB zu akkreditieren, was Anderen im Hause ohnehin zu umständlich gewesen wäre. Und mir zudem bei der Deutschen Bundespost ein Platztelefon zu bestellen. Die Telekom stand damals noch nicht einmal im Duden und meinen Bericht hätte ich dann von einem kostenpflichtigen Telefon, das die Post an meinem Arbeitsplatz installiert hätte, nach Trier durchtelefonieren können. Telefax war übrigens zu diesem Zeitpunkt auch noch kein Thema.
Als ich schließlich an meinem Arbeitsplatz in Frankfurt Platz genommen hatte, war alles da, nur kein Telefon. Warum auch immer, hatte die Deutsche Bundespost meinen zugesagten Anschluss nicht installiert. Und mir die Blöße geben, bei Kollegen nach zu fragen, ob ich mal von denen aus telefonieren dürfte, wollte ich auch nicht. Schließlich muss man sich ja nicht unbedingt als Provinzler ausgeben, der nicht weiß, wie das alles im großen Frankfurt und in einem richtigen DFB-Pokalfinale, das im Fernsehen kommt, funktioniert.
Dass das Spiel in die Geschichte einging, weil der Gladbacher Lothar Matthäus, dessen Wechsel nach München zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, seinen Strafstoß in den Himmel ballerte und somit seinem zukünftigen Arbeitgeber zum Pokalsieg verhalf, war für mich nicht so relevant wie die Frage: „Wie gebe ich denn jetzt meinen Bericht durch?“ Glücklicherweise, das wusste ich von Kollegen des Kicker-Sportmagazins, gab es unweit des Waldstadions eine kultige Fußballerkneipe mit dem Namen „Bubis Bahnhof.“ Die erschien mir als einzige Rettung.
Ich also nach dem Spiel rein in die randvolle Kneipe, drängte mich zwischen den lärmenden Fußballfans durch und fragte vorne am Tresen, ob ich mal für ne Viertelstunde telefonieren dürfte. Ich müsste einen Bericht vom Spiel durchgeben. Die Bedienung sah mich reichlich verwundert an, ein solches Ansinnen war ihr noch nicht vorgekommen. Aber ich sollte mal in die Küche gehen und fragen. Dort war natürlich Hektik, weil die Bude gerammelt voll war. Vorne lief das Bier in Strömen, hinten wurden Würstchen, Frikadellen und Ähnliches gebrutzelt und dann von eifrigen Bedienungen abgeholt und nach vorn geschafft.
„Ich geb‘ Dir 10 Mark fürs telefonieren, ist das okay?“, fragte ich und schnappte mir in dem ganzen heillosen lärmenden Durcheinander das Telefon, ging in die Ecke und wählte den TV in Trier an. Mein Manuskript hatte ich in der Hand, den Text hatte ich während des Spiels auf meiner Reise-Schreibmaschine geschrieben. Beim TV landete ich in der Zentrale, ließ mir die Aufnahme geben. Durchwahlen gab es nicht!
Das Übermitteln von Berichten lief damals wie folgt ab: In der Aufnahme saß ein Mitarbeiter, oder eine Mitarbeiterin: Die schaltete eine Platte an, auf die mein Gespräch aufgenommen wurde und hörte via Kopfhörer mit. Sobald das Kommando kam „Du kannst anfangen“, las man seinen Bericht dann vor. Das heißt, in diesem Fall: Ich brüllte ihn in dem ganzen lärmenden Kneipen-Chaos von „Bubis Bahnhof“ in die Ohrmuschel. Der Kollege, ich verschweige seinen Namen aus Pietätsgründen, interessierte sich für alles Mögliche, nur nicht für Fußball. Das sorgte für Probleme, als ich die Mannschaftsaufstellung durchgab und er mithörte. Namen waren ihm kein Begriff. „Beckenbauer? Wie schreibt man das?“ Das wird nie was, dachte ich bei mir, während mich die Bedienung mit heißen Würstchen und Frikadellen aus dem Weg schubste und ich in die Muschel brüllte.
Um es kurz zu machen: Irgendwie gelangte mein Bericht aus „Bubis Bahnhof“ in die Aufnahme der Redaktion und von dort aus in die nächste Volksfreund-Ausgabe. Mit dem ein oder anderen falsch geschriebenen Namen, aber Hauptsache, der Text war drüben. Wer zu dieser Zeit im Trierischen Volksfreund das Sagen hatte, nämlich die Buchhaltung und nicht die Redaktion, das wurde mir ein paar Tage später deutlich, als ich meine Abrechnung machen wollte. Ob ich denn für die 10 Mark fürs Telefonieren, sowie für die Cola und die Wurst, die ich mir danach gegönnt hatte, auch eine Quittung hätte, ließ die Buchhaltung nachfragen. Meine Frage, wie ich denn in diesem ganzen Getümmel hätte an eine Quittung kommen sollen, stieß auf völliges Unverständnis.
Ich weiß es noch heute, als wäre es gestern gewesen: Telefonieren, Cola und Wurst hatten mich 16 Mark gekostet. Die konnten mir aber nicht erstattet werden, weil ich keinen Beleg dafür hatte. Doch Unglaubliches, weil Aktenkundig so festgehalten, geschah: „Sie waren länger als 12 Stunden unterwegs, Herr Braun. Dafür stehen Ihnen 32 Mark Spesen zu. Gehen Sie runter an die Kasse und lassen Sie sich den Betrag auszahlen“. 16 Mark ohne Quittung, das geht nicht. Aber das Doppelte, weil es eine Spesen-Vorschrift gab, war kein Problem.
Buchhalter sein ist nicht nur ein Beruf, sondern auch eine Lebens-Philosophie.