Auto-Jubiläen gibt es viele. Jahr für Jahr. Monat für Manot. Zum 20, 30., 40. oder 50. Geburtstag des betreffenden Fahrzeugs wird dann noch einmal in den Geschichtsbüchern geblättert und ein Beitrag mit viel Modellpolitk und ein wenig Patina geschrieben. Vor wenigen Tagen allerdings wiederholte sich zum 75. Mal ein Datum, das nicht nur einen ganz besonderen Einschnitt in der Geschichte des (deutschen) Automobilbaus markierte, sondern auch für viele „Auto-Besessene“ älteren Jahrgangs mit einer ganzen Menge persönlicher Erinneringen verbunden war. Bei mir, (Jahrgang 1951) war das nicht anders. Deswegen erzähle ich hier eine kleine Geschichte frei nach dem großen deutschen Schriftstellers Carly Zuckmayer: „Als wär’s ein Stück von mir.“ Es geht um den 75. Geburtstag des deutschen Kultautos, ja vielleicht sogar des weltweit bekanntesten Fahrzeuges schlechthin, des VW Käfers.
Allgemein gilt die Grundsteinlegung für das Volkswagenwerk bei Fallersleben (heute ein Stadtteil von Wolfsburg) am 26. Mai 1938 als eine Art Geburtsstunde des Volkswagens. 1939 sollte dort die Serienproduktion des Käfers gestartet werden. Doch stattdessen wurden an Ort und Stelle Kübelwagen für den Kriegseinsatz gebaut. Die ersten Vorserien-Fahrzeuge des Käfers mit Ganzstahl-Karosserie, hinten und vorn angeschlagenen Türen und dem legendären „Brezelfenster“ aber hatte es bereits Anfang des Jahres 1938 gegeben
Der Sound des luftgekühlten Boxermotors begleitet die automobile Welt seitdem nicht nur auf den Straßen, sondern auch auf der Leinwand (als Hauptdarsteller „Herbie“ oder „Dudu“) und sogar in den Hitparaden-Charts. Als Intro des Songs „Autobahn“ einer Popgruppe namens „Kraftwerk“ fuhr das kultige Krabbeltier sogar bis in die Top Ten der damaligen Charts vor. Der ehemalige KdF-Wagen Hitler’scher Vorgaben und Prägung mutierte in den 1950er Jahren zum mobilen Symbol des deutschen Wirtschaftswunders. Sogar der erste Bundeskanzler der neuen Republik, Konrad Adenauer, eher an Dienstfahrzeuge mit dem Stern auf der Kühlerhaube gewöhnt, gab nach einer Überlandfahrt im Käfer mit rheinischem Dialekt zum Besten: „Dat is aber auch ne jute Wagen.“
Die Tiefen des Internets erlauben uns mittlerweile, alle möglichen Details über die Entstehungsgeschichte, die damalige politische Motivation, oder über die Weiterentwicklung und globale Verbreitung des Fahrzeugs zu recherchieren. Wenngleich dabei auch manche lesenswerte Schmonzette und Anekdote zutage kommt, so ist das doch alles nichts gegen unsere ganz privaten Erinnerungen mit einem Fahrzeug, dessen Produktion vor etwa zehn Jahren im mexikanischen Volkswagenwerk zu Ende ging.
Auch mein erstes eigenes Fahrzeug war ein VW Käfer gewesen. Im April 1972, ein paar Tage nach dem Erwerb des „grauen Lappens“, des Führerscheins also, wurde er für 700 D-Mark mein Eigentum. 13 Jahre alt, Baujahr 1959, mit Sechsvolt-Batterie unter der Rücksitzbank, einem Schalter im Fußraum für die Kraftstoff-Reserve und einem metallenen Knopf links neben dem Kupplungspedal zum Auf- und Abblinken. Daran gewöhnt, nur bei uns zu Hause in der Kleinstadt als Fahrschüler ein Auto bewegt zu haben, denke ich heute noch daran, wie ich „mein Auto“ zum ersten Mal, zwar mit leicht schweißnassen Hände, aber ganz alleine über die Landstraße bewegt habe. Ein unbeschreibliches Gefühl. Da war sie endlich, die große, die einzig wahre Freiheit.
Mein erster Käfer hatte es gut bei mir. Ich las ihm quasi jeden Wunsch (Tanken, Ölwechsel, Kontrolle des Reifendrucks) von den Augen ab. Pünktlich an jedem Samstag nachmittag um halb vier ging ich mit ihm zum Kosmetiker. Hinter dem Elternhaus wurde er dann vorsichtig von oben bis unten eingeseift und gewaschen. Mit einer alten Zahnbürste säuberte ich seine Hohlräume, entfernte die ersten Rostplättchen und schnitt ihm die Fußnägel. Pardon, polierte die Felgen. Mein samstäglicher Teilzeitjob als automobiler Altenpfleger nahm die ganze Konzentration meiner beginnenden Leidenschaft für alles rund um das Kraftfahrzeug in Anspruch. Als selbstverständliches Ritual gehörte dazu natürlich das weit aufgedrehte Kofferradio mit der legendären Bundesliga-Schlusskonferenz.
Leider war mein Käfer aber schon zum Zeitpunkt des Erwerbs nicht mehr der Jüngste. Am Berg ging ihm deshalb auch schon mal die Puste aus. Die Spannung des Keilriemens erinnerte zunehmend fatal an einen Flitzbebogen und das Trittbrett auf der Fahrerseite machte nicht zu übersehende Anstalten, für den Rest seiner Tage ein eigenständiges Leben ohne die weiteren Karosserie-Anbauteile führen zu wollen. Es tat mir in der Seele weh, aber nach gut einem Jahr habe ich mein erstes Auto, „meinen Käfer“, dann verkauft. An einen Mannschaftskameraden unseres damaligen Handballteams. Für 100 Mark und eine Kiste Bier für die Mannschaft.
Abgestiegen sind wir Handballer noch im selben Jahr trotzdem. Noch heute bin ich davon überzeugt, dass mein alter Käfer dabei seine Reifen im Spiel hatte. Die späte Rache des missachteten Gefährten. Was mich heute, gut vierzig Jahre später, ein wenig tröstet: Seit gewisser Zeit nenne ich einen Porsche 356 C, Baujahr 1963, mein eigen. In seinem Heck knattert, brabbelt, stöhnt, faucht und schreit (manchmal) ein luftgekühlter Vierzylinder-Boxermotor. Da sage einer, Geschichte wiederholt sich nicht. Und wer wollte zudem dem großen britischen Gentleman-Driver Sir Stirling Moss widersprechen, der einst konstatierte: „Das erste Auto im Leben vergisst man genau so wenig wie die erste Frau!“
Text: Jürgen C. Braun / Fotos: Volkswagen mediaservices,