Polestar bedeutet – etwas frei übersetzt – so viel Polarstern. Ist das der Stern, der dem schwedischen Autobauer Volvo die Richtung weist? Unsere ersten Eindrücke mit den Modellen S60 und V60 Polestar jedenfalls zeigen: Die Schweden haben sich eine neue Plattform geschaffen, von der aus sie die etablierte Premium-Klasse aus attackieren können
Erfindet sich da eine angesehene und alt eingesessene Automobilmarke im Moment ganz neu oder profitiert sie einfach nur von der eigenen Weitsicht und der Einsicht des neuen Besitzers? Eine Einsicht in die Kompetenz, das Wissen und die Entscheidungskraft der Verantwortlichen auf der anderen Seite des Erdballs? Fakt jedenfalls ist: Kaum ein anderer Autohersteller hat sich in den vergangenen Jahren einem derart konsequenten Imagewandel mit einer präzise erweiterten Produktpalette unterworfen, wie das bei Volvo der Fall ist. Bestes Beispiel für diese These sind die neuen Modelle der „Polestar“-Variante in den Baureihen V60 und S60. Dort feiert die Verbindung von Premiumauftritt auf der Straße und Motorsporthochzeit mit Langzeitperpsektive.
Galt es vor nicht allzu langer Zeit noch als „vernünftig“, als kluge, angemessene und aus Gründen größtmöglicher Sicherheit nachvollziehbare Entscheidung, sich einen Volvo zuzulegen, so ist aus dem schwedischen Autobauer mittlerweile eine Lifestylemarke mit Premiumanspruch geworden. Ein Autobauer, der bei diesem Unterfangen die eigenen, bisherigen Werte nicht vernachlässigt. Seit dem Jahr 1996 gab es bereits eine strategische Partnerschaft zwischen dem auf Optimierung in jeder Beziehung ausgerichteten Haus „Polestar“, das die Volvo Car Group im vergangenen Jahr übernommen hat.
Jetzt gilt Polestar, das 2016 seine erste komplette Saison in der globalen Tourenwagen-Weltmeisterschaft (WTCC) absolviert, als die Performancevariante von Volvo. Mit kompletten Fahrzeugangeboten wie S60 und V60, aber auch mit vielen Accessoires und einzelnen Zubehördetails, die einem auf „Hingucker“ und anspruchsvollen Auftritt bedachten Volvo-Besitzer explizit Freude bereiten. Für die nächsten fünf Jahre ist der Auftritt in der WTCC festgeschrieben. Nach ein oder zwei Lernjahren strebe man 2018, so Geschäftsführer Nels Möller, schon den Gewinn des Titels in der Tourenwagen-WM an.
Seit Volvo sich von der Ford-Mutter getrennt hat und mit dem chinesischen Autobauer Geely einen neuen Besitzer mit „langer Leine“ gefunden hat, ist die Marke so schwedisch, wie es der schwedische Autobauer schon lange nicht mehr war. Oder nicht mehr sein durfte. Volvo hat sich eine ganz klare Motorenstrategie verpasst, operiert nur noch mit Vierzylinder-Motoren der neuen Drive-E-Serie und schärft sein geschäftliches Profil markant, aber nicht „auf Teufel komm raus“ auf neuwertig und Premium. Das sind neue, bewusst applizierte Ansprüche, aber ohne Proll und Protz aufgetragen.
Einen Volvo, wie die beiden dieser Tage präsentierten Modelle S60 Polestar und V60 Polestar, mit Gimmicks wie etwa einem offenen Sportauspuff oder Abgasanalgen mit optimiertem Soundverhalten einführen zu wollen, wäre vor noch nicht allzu langer Zeit ein Tabubruch gewesen. Die Marke galt als angesehen, sicher, versehen mit vielen familiären Alltagsboni, aber auch als konventionell und ein wenig hausbacken. Abgesehen von der einen oder anderen Ausstattungslinie war ein Volvo in den seltensten Fällen geeignet, den Betrachter – oder gar den Kunden einer Konkurrenzmarke – vom Hocker zu reißen. Aber, so ein Volvo-Sprecher „wir wollen ja wachsen und müssen uns demzufolge breiter aufstellen. Wir müssen auf Kunden reagieren, die etwas anderes wollen, ohne dabei unsere Kernwerte aufzugeben.“ Mit der Performancereihe Polestar, insbesondere den jetzt präsentierten V60 und S60, sieht sich Volvo in direkter Konkurrenz mit Angeboten wie etwa Audi S4 oder BMW M3. Unsere ersten Testfahrten mit den 367 PS starken Limousinen und Kombis führten uns über die hochalpine Großglockner Hochalpenstraße. Sie vermittelten dabei – zusätzlich zu der wohlfeil geschärften Optik – erste, bleibende Eindrücke von der Kraft und den technischen Finessen der Polestar-Reihe. Dort ergänzen sich die Erkenntnisse und Auswertungen von Rennstrecke und Straße in punktgenau analysierten Synergien.
Die Preisliste für den Volvo S60 Polestar beginnt bei 68.000 Euro, für die Kombi-Variante V60 Polestar werden 69.800 Euro aufgerufen.
Text und Fotos: Jürgen C. Braun