Irgendwo, da war ich mir ziemlich sicher, also irgendwo musste doch noch eine von diesen vermaledeiten feuerfesten Gesichtshauben sein, die aus meinen längst der Vergangenheit angehörenden aktiven Rallyezeiten übrig geblieben war. Jetzt, nach einer gefühlten halben Ewigkeit, konnte mir so ein Ding, das ich mir früher immer vor dem Start zur Wertungsprüfung eng anliegend über den Schädel gezogen hatte, nämlich mal wieder von Nutzen sein. Wenn ich nämlich schon den heroischen Entschluss gefasst hatte, irgendwo am Rande der Gefriergrenze die Fahrradsaison zu eröffnen, dann bitte schön aber auch so, dass mir unterwegs nicht sämtliche Gesichtszüge entgleisen sollten!
Fahrrad fahren? Jetzt? Um diese Jahreszeit? Bei Sonnenschein zwar, aber gefühlten Minustemperaturen und eisigem Wind hier oben auf den Höhen des Hunsrücks am westlichen Rand der Republik: Jawoll, so sollte es sein, hatte ich mir geschworen. Denn schließlich besteht der Mensch nicht aus Sitzen, nicht nur aus Auto fahren und außerdem beschlich mich das Gefühl, dass mir ein paar Kilometer in den Waden und in der Lunge auf dem Rad oder dem Mountainbike gut tun würden, bevor ich mich wieder dem Oldtimer-Vergnügen hin geben würde. In der Garage, also genauer gesagt in den Garagen, weil nämlich jeder seine eigene hatte, warteten ein Porsche 356 und ein VW Bulli T2 sehnsüchtig darauf, dass der grässliche Winter endlich ein Ende haben möge.
Und da die Strampelerei im Sattel mir neben Mühsal auch Vergnügen bereitet, beschloss ich also, mich der Beschäftigung mit dem Drahtesel hin zu geben, bevor das Garagengold wieder auf die Menschheit losgelassen werden sollte. Radfahren tut nämlich gut und ist nur zu empfehlen, wenn man ansonsten seine Tage vorzugsweise zwar in sitzender Haltung, aber eben nicht mobil, verbringt. Und die Radfahrerei, das ist die zweite gute Nachricht in diesen Tagen, in denen man vieles nicht mehr darf oder tun sollte, was ansonsten zur Selbstverständlichkeit gehört, ist eben noch erlaubt. Ausdrücklich sogar. Weil sie eben auch das Immunsystem stärkt und deshalb Krankheiten vorbeugt. Ein mehr als willkommener Nebeneffekt in diesen Tagen.
Denn, wer das Rad nimmt, statt sich öffentlicher Verkehrsmittel zu bedienen, der verringert auch sein Ansteckungsrisiko. Wo ansonsten in überfüllten Bussen und Bahnen jedes Virus in einen Begeisterungstaumel verfällt, ist der Pedaleur in der freien Luft mit sich selbst allein keinen Gefahren ausgesetzt. Keine Türgriffe, keine Haltestangen, nichts. Und sollte dieses Dreckding von Virus wirklich schon von mir Besitz ergriffen haben, würde ich unterwegs allein mit mir auch mit Sicherheit keinen Mitmenschen anstecken. Mal abgesehen davon, dass nach ein paar Kilometern Biken und Frischluftzufuhr sich Körper und Geist vom Lagerkoller des Homeoffice zunehmend erholen.
Also erst mal Vorsorge getroffen: Zwei Garnituren Ski-Unterwäsche, eine Lauf-Hose, darüber eine Radler-Hose, ein leichtes Radtrikot, die eher griffigen Langlauf-Handschuhe anstatt der alpinen Monstergriffel übergestreift. Dan die feuerfeste Haube, dass nur noch die Nase rausguckt, dunkel getönte Skibrille drüber, Helm auf und dann nix wie los. Zugegeben: Auf den ersten Kilometern kam ich mir vor wie eine prall gefüllte Leberwurst, die irgendjemand in diesen Fahrradsattel gehievt hatte. Aber irgendwann, als sich eine gewisse Beweglichkeit und zunehmend auch Behaglichkeit eingestellt hatte, fing die Geschichte an, Spaß zu machen.
Drum merke: Auch der ans Autofahren, insbesondere ans Bewegen schöner, seltener, alter Automobile gewöhnte Mensch kann und sollte an der Bewegung auf zwei Rädern mit Pedalen Freude empfinden. Und dass es dafür zu kalt sein soll, ist entweder Einbildung oder Schutzbehauptung. Machens wir‘s also wie einst Udo Bölts, der in wilder Entschlossenheit seinen Teamkameraden Jan Ullrich unmissverständlich unmissverständlich aufgefordert hatte: „Quäl Dich, Du Sau!“